Steckbriefe der historischen Triebwagen

Der TW 23 – die Lebensgeschichte einer 75-Jährigen

Im Jahr 1934 erblickte ich mit sieben Geschwistern in der Waggonfabrik Wismar das Licht der Welt. Kurz darauf wurde ich in meine zukünftige Heimatstadt Nordhausen transportiert. Dort bekamen wir unsere „Namen“, die - wie bei Straßenbahnen nun mal üblich - aus Nummern besteht (21 bis 28). Ich bekam die Nr. 23. Uns acht Wagen ging es in Nordhausen richtig gut, wir hatten zwar nur ein kleines Gleisnetz, auf dem wir uns austoben konnten - aber dafür ein sehr schönes. Es gab zwei Linien, die eine vom Bahnhof zum Pfingstweg (jetzt Naumannstr.), die andere vom Bahnhof zum Altentor. Im Depot unseres Arbeitgebers in der Grimmelallee hatten wir immer ein Dach über dem Kopf. Bis 1945 verlief unser Leben ruhig, aber dann wurde Nordhausen im April 1945 bombardiert. Zwei meiner Geschwister wurden im Bombenhagel so stark zerstört, dass sie in der Waggonfabrik Gotha wieder neu aufgebaut werden mussten. Ich selbst erlitt nur kleine Blessuren, die in der eigenen Werkstatt wieder repariert werden konnten. Mit mir und meiner Schwester Nr. 26 wurde der neu aufgebaute Streckenabschnitt Bahnhof – Altentor nach dem Krieg wieder feierlich in Betrieb genommen. Bis 1967 verlief unser Dasein ruhig und zufrieden, bis meine Schwester, die Nr. 27 durch einen Unfall zerstört wurde. Mit diesem Ereignis wurde eine Zeit des Umbruchs eingeläutet. Nach und nach wurden wir durch neue Wagen ersetzt. Mich degradierte man im Jahre 1970 zum Arbeitswagen. Diese Abwertung sicherte aber andererseits mein Überleben. Mir wurde durch den Umbau zum Salzstreuwagen zwar mächtig zugesetzt, aber dadurch bin ich als einziger Wagen meiner Generation übrig geblieben. Meine letzte Schwester, die Nr. 28, wurde Anfang 1973 verschrottet. Den 75. Geburtstag des Nordhäuser Straßenbahnbetriebes im Jahr 1975 nahm mein Eigentümer zum Anlass, mich wieder aufzuarbeiten und als historisches Fahrzeug herzurichten. Ich wurde neu lackiert und fuhr von diesem Zeitpunkt an zu Sonderfahrten im Netz der Nordhäuser Straßenbahn. 1981 und 1983 war ich bei Feiern zu Streckenerweiterungen dabei. Kurz vor Weihnachten 1983 wurde ich durch einen Kabelbrand stark beschädigt und dachte, dass nun wohl mein Ende gekommen sei. Bis 1986 stand ich im Depotgelände und war schon fast in Vergessenheit geraten. Aber plötzlich wurde der Gedanke gefasst, aus mir wieder einen schmucken historischen Triebwagen zu machen. Gesagt, getan. Jetzt ging es mir richtig an den Kragen. Ich wurde vollständig demontiert und wieder neu aufgebaut. Ich bekam auch eine neue Lackierung, die mir zwar anfänglich nicht gefiel, aber heute möchte ich das satte Moosgrün nicht mehr missen. Seit dem ersten Mai 1987, meiner zweiten Geburtsstunde, bin ich nun wieder für meine lieben Fahrgäste zu Sonderfahrten im Einsatz. Mir zu Ehren wurde sogar eine Sonderfahrkarte herausgegeben. Zu Hochzeiten, Familienfeiern und sonstigen Anlässen werde ich sehr gern angemietet. Im Jahr 1999 bekam ich von meinem Kameraden, dem Triebwagen 40, als zweiten historischen Wagen Unterstützung. Nur ein Jahr später kam der restaurierte Triebwagen Nr. 59, das Schienenbistro, als dritter historischer Triebwagen hinzu. Im Jahr 2000 feierten "Wir Drei" gemeinsam mit unseren Gästen, dem Bochumer Htw 96, dem Geraer Htw 29 und dem Naumburger Pferdewagen 133, den 100. Geburtstag des Straßenbahnbetriebes. Seit dieser Zeit sind "Wir Drei" auf dem heutigen Streckennetz zu Sonderfahrten im Einsatz.


Geschichte des historischen Triebwagen 40 der Nordhäuser Straßenbahn

Der Tw 40 wurde 1959 in der Waggonfabrik Gotha gebaut und nach dem Krieg als Neufahrzeug bei der Nordhäuser Straßenbahn in Betrieb genommen. Er wies gegenüber den anderen Triebwagen unserer Straßenbahn viele Verbesserungen auf, zum Beispiel hatte der Wagen: zwei vom Fahrgastraum abgetrennte, Fahrerkabinen, Polstersitze in Abteilform und zwei doppelte Schiebetüren pro Seite (die sich vom Fahrer elektrisch öffnen und schließen ließen). Ferner hatte er eine verbesserte Heizungsanlage für den Fahrgastraum und er besaß auch eine Lautsprechanlage für Innenansagen. Der Wagen verfügte, für die damalige Zeit, über ein modernes Aussehen. Er war Elfenbein lackiert und hatte eine blaue Bauchbinde, welche von Aluminiumzierleisten eingefasst war. Der Tw 40 lief viele Jahre als Einzelgänger seines Typs ET-57 bei der Nordhäuser Straßenbahn. Im Jahr 1967 wurde von der Halleschen Straßenbahn ein weiterer Triebwagen vom Typ ET-57 übernommen, der als Tw 41 eingereit wurde. Dieser Wagen hatte gegenüber Tw 40 eine rote Bauchbinde, die später in eine blaue geändert wurde. Im allgemeinen unterschied er sich aber kaum vom Tw 40. Ab 1969 wurden sieben ET 57 Wagen von den Geraer Verkehrsbetrieben übernommen, diese Wagen waren teilweise mit einer Scharfenbergkupplung ausgerüstet, welche in Nordhausen durch eine einfache Lochpufferkupplung ersetzt wurde. Die Ex-Geraer ET 57 bekamen in Nordhausen die Wagennummern 42-48. Mit dieser Beschaffung wurde 1969 die elfenbein/gelbe Lackierung mit schwarzer Bauchbinde eingeführt. Auch Tw 40 bekam im Jahr 1969 diese neue Lackierung, die er bis zu seiner Grundinstandsetzung in Berlin/Schönweide trug. Dort allerdings bekam er wieder die elfenbeinfarbene Lackierung, jetzt allerdings mit einer schwarzen Bauchbinde. Im RAW Berlin/Schönweide wurden mehrere unserer Wagen gründlich aufgearbeitet. So zum Bespiel wurde die gesamte Elektroanlage der Wagen aufgearbeitet. Eine neue Innenverkleidung, neue Sitze, und ein neuer rutschfesterFußbodenbelag wurden ebenfalls eingebaut. Weiterhin wurden sie außen neu beblecht. Dabei fielen die Aluminiumzierleisten weg, auch die seitlichen Liniennummernkästen wurden verschlossen und sie bekamen eine elfenbeinfarbene Lackierung mit schwarzer Bauchbinde. Das Einsatzgebiet der Tw 40-46 beschränkte sich ab 1982 nur noch auf die Linien zwei und drei, bei Ausfall eines G4 „durfte(n)“ sie auch mal auf die Linie 1. Der heutige TW 40 ist ein Zusammenbau aus mehreren Triebwagen seiner Serie. Im Jahr 1998 wurde er erneut auf und zusammengebaut und steht seit 1999 wieder für Sonderfahrten zur Verfügung. Dabei mussten einige Kompromisse in Kauf genommen werden. Der Htw 40 bekam eine Beschallungsanlage, sodass bei Stadtrundfahrten Erläuterungen und Hinweise an die Fahrgäste gegeben werden können. Er kann auch im Linienverkehr eingesetzt werden, dafür wurde er mit Entwertern ausgestattet.


Geschichte des historischen Triebwagen 59 der Nordhäuser Straßenbahn

Der heutige Htw 59 wurde 1967 für die Leipziger Verkehrsbetriebe als W1216 vom Typ G4 beim Waggonbau Gotha gebaut. Bis 1985 war er in Leipzig im Einsatz, danach wurde der Wagenkasten nach Nordhausen abgegeben, vor der Überführung jedoch wurde er mit den Fahrgestellen des in Nordhausen verschrotteten G4 154 versehen. Die Fahrgestelle des ex Erfurter G4 154 wurden in Nordhausen überholt und neu lackiert, anschließend nach Leipzig/Heiterblick überführt und mit dem dortigen Wagenkasten des Tw 1216 vereinigt. Er gelangte 1985 nach Nordhausen und bekam die Wagennummer 59. In Nordhausen war er bis1991 im Linienverkehr auf der Linie 1 im Einsatz. Ab 1991 wurde er zum Partywagen umgebaut und war dann als Rolandexpress bis 1995 im Einsatz. Danach wurde er wegen der fälligen Hauptuntersuchung bis 1999 abgestellt. Nach dem vollständigen Neuaufbau als "Schienenbistro" bekam er eine Toilette im Mittelteil, eine Bar im B-Teil, sowie Sitzbänke mit Tischen im A-Teil. Zum 100-jährigen Jubiläum der Nordhäuser Straßenbahn im Jahr 2000 wurde der Tw 59 als Nordhäuser Schienenbistro wieder in Betrieb genommen. Er bekam er eine schwarze Lackierung mit roten u. goldenen Zierstreifen und Werbung der Köstritzer Schwarzbierbrauerei. Im Jahr 2008 verlor die Bistro-Tram 59 ihre Werbung für die Köstritzer Brauerei und bekam für das geplante Nordhäuser Brauhaus seine derzeitige Werbung. Er kommt seit 2000 auf Nachfrage und zu Nordhäuser Stadtfesten zum Einsatz. Mit einem elektronischen Bordinformationssystem wurde er nicht ausgerüstet, daher müssen die Weichen vom Fahrer selbst mittels Knopfdruck gestellt werden. Ferner bekam er eine Beschallungsanlage, um Fahrten musikalisch Umrahmen zu können. Zu Stadtrundfahrten können so auch Informationen über die Mikrofonanlage gegeben werden. Der Tw 59 wird sehr viel für Feierlichkeiten wie Hochzeiten, Geburtstage und Jubiläen gemietet. Er steht an der Spitze der Anmietungen bei historischen Wagen.


alle Texte: Jürgen Meyer